Es ist das Grundelement unseres Lebens. Es kann uns erquicken, beleben, beruhigen, aber auch bedrohen. In der Bibel begegnet uns Wasser schon am Beginn der Schöpfungsgeschichte.
In den Kirchen hat es durch das Sakrament der Taufe auch eine besondere spirituelle Bedeutung bekommen.

Wasser weckt Sehnsucht

Haben Sie schon Ihren Sommerurlaub geplant?
Wenn ich mir Prospekte von Reisebüros anschaue, fällt mir auf, dass auf den Bildern sehr oft Wasser zu sehen ist: Das Meer, ein See, ein Fluss oder ein Wasserfall.
Erholung, Entspannung, Urlaub – für viele Menschen hat das mit dem Element Wasser zu tun.
Aber Wasser kann auch Sehnsucht wecken. Es kann uns dazu bringen, aufzubrechen und Neues zu entdecken. Die Weite des Meeres, die Kraft des Stromes, die erquickende Wirkung einer frischen Quelle. Wasser hat etwas Lebendiges, es kann uns Geschichten erzählen von der Unterbrechung des Alltags, von Veränderungen im Leben, von Befreiungen aus Zwängen.
Die Bibel ist voll von solchen Wassergeschichten. Auf den ersten Seiten schon, in den Erzählungen von der Schöpfung ist immer wieder vom Wasser die Rede. Ganz am Anfang, noch bevor das Licht erscheint, heißt es: Und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
In einem biblischen Psalm ruft der Beter: „Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser.“
Das ist die Sprache der Sehnsucht nach Heilung, nach Veränderung, nach Rettung aus einer ausweglosen Situation.
Wer Gott sucht, kommt am Wasser nicht vorbei. Wer Orte am Wasser aufsucht, kann dort Gott finden – nicht nur im Urlaub!

Segen und Fluch

Orte am Wasser können Orte der Ruhe und des Friedens sein. Zur Entspannung gehe ich am liebsten Wege am Wasser entlang, sei es an der Traun, die ich jeden Tag überquere oder an einem See z.B. im nahen Salzkammergut.
Aber letztes Jahr im Juni ist vielen Menschen in unserem Land wieder bewusst geworden, dass Wasser nicht nur Segen, sondern auch manchmal Fluch bedeuten kann. Die Schäden des Hochwassers entlang der Donau sind längst noch nicht alle beseitigt.
Wasser ist nicht nur die Grundlage unseres Lebens, es kann eben auch eine zerstörerische Wirkung haben.
Die Bibel erzählt uns die Geschichte von der großen Flut schon in ihren ersten Kapiteln. 40 Tage und 40 Nächte Regen. Eine Klimakatastrophe als Urgeschichte der Menschheit. Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur ist von Anfang an nicht ungetrübt.
Aber Noah und seine rettende Arche können uns daran erinnern:
Der Mensch hat den Auftrag bekommen, die Schöpfung zu bewahren und sie vor der Zerstörung zu retten. Gott hat uns diesen Planeten Erde anvertraut. Wenn wir wollen, dass auch zukünftige Generationen Orte am Wasser als Orte des Friedens und der Ruhe erleben können, ist es höchste Zeit, dass jede und jeder einen Beitrag leistet. Die Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung kann uns niemand abnehmen.

Es ströme das Recht wie Wasser!

Zwei Drittel der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Wer unseren blauen Planeten aus der Perspektive eines Satelliten wahrnimmt, könnte annehmen, die Bewohner der Erde hätten genug Wasser, um ihren Durst zu stillen.
Aber ein Drittel der Menschheit hat keinen Zugang zu Trinkwasser. Tausende Kinder sterben täglich an schmutzigem Wasser.
In der Bibel lesen wir die Geschichte des Propheten Amos im Alten Israel. Der trat in Bet-El auf, einem heiligen Ort, der als Haus Gottes bezeichnet wird.
Dieser Ort wurde auf einem felsigen Gelände mit vielen Quellen gebaut. Eine beeindruckende Trinkwasserversorgung aus diesen Quellen begeistert noch heutige Historiker. Der Prophet Amos hatte wohl diese Quellen, die Bäche und das Meer vor Augen, wenn er Gottes Botschaft in Wasserbilder verpackt.
Seine Sprüche richten sich gegen die Politik der Mächtigen, die auf Kosten der Armen in Luxus und Selbstgerechtigkeit leben. Amos ruft aus:
„Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach!“
Wasser und Gerechtigkeit gehören zusammen – diese Botschaft gilt bis heute!
Im vergangenen Jahr haben fast 2 Millionen Menschen die erste EU-weite Petition unterschrieben, die sich für das Menschenrecht auf Wasser und gegen die Wasser-Privatisierung einsetzt. In den kommenden Wochen werden das EU-Parlament und die EU-Kommission beraten, wie diese Anliegen in Recht gegossen werden können.

Brunnen: ein Stück vom Himmel

Wenn ich in Städten spazieren gehe, suche ich am liebsten Plätze mit Brunnen zum Verweilen auf. Brunnen ziehen viele unterschiedliche Menschen an. Sie sind Orte der Begegnung.
Das war schon zu biblischen Zeiten so. Häufig kommen Frauen zum Brunnen. Sie legen weite Wege zurück, um in großen Krügen das Wasser zu holen. Im Johannes-Evangelium wird von einer Frau erzählt, die zum so genannten Jakobsbrunnen kommt. Dieser Brunnen liegt in Samarien, einer bis heute politisch umstrittenen Gegend nördlich von Jerusalem. Die Bewohner Samariens galten den Juden als Ketzer. Der Umgang mit ihnen war verpönt.
Dort, am Jakobsbrunnen bittet ein jüdischer Mann die samaritanische Frau in der Mittagshitze um Wasser. Am Brunnen treten religiöse und kulturelle Unterschiede in den Hintergrund.
Zwischen den beiden entwickelt sich ein Gespräch über den Durst und die heilende Kraft des Wassers.
Der Mann verspricht der Frau etwas Irritierendes, ja Ungeheuerliches: Wasser, das ewiges Leben schenkt.
Diese Begegnung zwischen dem Juden Jesus und einer Samariterin am Brunnen lässt eine große Hoffnung aufkeimen. Versöhnung und Verständigung ist möglich. Weil Wasser heilen kann, ist das Leben stärker als alle Enttäuschungen und Verletzungen, ja letztlich sogar stärker als der Tod.
Brunnen sind Orte, an denen ein Stück vom Himmel spürbar werden kann.

Taufe: Das lebendige Wasser

Alle großen Religionen wissen etwas von der Kraft des Wassers, die Menschen zu reinigen, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Wasser ist Blut und Atem der Erde, sagen die Chinesen. Wie die Adern in einem Körper, die den roten Lebenssaft transportieren, stellt das Wasser lebensspendende Verbindungen her, manchmal sichtbar, manchmal unsichtbar unter der Erdoberfläche.
Reinigung und Verbindung – in der christlichen Tradition werden diese Funktionen des Wassers in der Taufe zum Ausdruck gebracht.
Die ersten Christen wurden am Jordan getauft, im fließenden, lebendigen Wasser. Fließwasser kann viel in Bewegung bringen. Die Kraft des Flusses reißt alles mit, was in ihm schwimmt. Sogar schwere Steine können ins Rollen geraten.
In den so genannten Freikirchen ist es auch heute noch üblich, dass Erwachsene bei der Taufe mit ihrem ganzen Körper untertauchen. So wird die Symbolik deutlich:
Aus dem Wasser der Taufe wird ein neuer Mensch geboren, gereinigt von allem, was ihn von Gott trennt und unsichtbar verbunden mit der Gemeinschaft der Heiligen, der ganzen Kirche. Christenmenschen sind davon überzeugt, dass durch das Wasser der Taufe Gottes Geist wirksam wird. Schwere und belastende Steine können ins Rollen geraten. Jesus sagt über diese Kraft: „Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“

Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht

Letzte Woche hat wieder die Fastenzeit begonnen. Passionszeit, Leidenszeit werden diese sieben Wochen vor Ostern in der evangelischen Kirche genannt.
Die Erinnerung an das Leiden und Sterben von Jesus gibt dieser Zeit den Namen.
Zum christlichen Glauben gehört es dazu, Menschen, die leiden müssen, nicht allein zu lassen. Getragen wird die Solidarität mit den Leidenden in jedem Fall durch das Gebet.
Im Psalm 69 aus der Bibel schreit ein Beter in seiner Verzweiflung zu Gott:
„Hilf mir, Gott! Schon reicht mir das Wasser bis zur Kehle. Ich bin in tiefem Schlamm versunken und habe keinen Halt mehr; ich geriet in tiefes Wasser, die Strömung reißt mich fort.“
Das Bild vom Wasser, das einem bis zum Hals steht, finde ich besonders eindrücklich. Wasser steht hier stellvertretend für die vielen Kräfte, die lebensbedrohlich sein können: Gewalt, Sucht, Krankheit z.B.
Durch die Hinwendung zu Gott findet der Beter dieses Psalms Hoffnung in seinem Leiden. Und auch zu dieser Hoffnung gehört wieder das Element des Wassers. Wörtlich heißt es: „Denn der Herr hört auf die Armen, er verachtet die Gefangenen nicht. Himmel und Erde sollen ihn rühmen, die Meere und was sich in ihnen regt.“
Von der Verzweiflung zur Hoffnung – Wasser gehört zur Sprache des Glaubens, weil es die Grundlage unseres Lebens ist.
Wasserwunder: Markierung an den Übergängen
Viele Menschen haben im Lauf ihres Lebens das Bedürfnis kennengelernt, in die Freiheit aufzubrechen.
In der Bibel wird eine große Befreiungsgeschichte erzählt. Das Volk Israel wird aus der Knechtschaft in Ägypten befreit. Als Vision von einem Leben in Freiheit verspricht Gott ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Aber am Beginn steht ein anderes Element: das Wasser. Als die Israeliten vor den ägyptischen Soldaten flüchten, teilt sich das Meer. Dieses erste Wasserwunder markiert einen Übergang: nicht mehr gefangen, aber noch nicht wirklich frei.
Denn der Weg in die Freiheit ist lang und beschwerlich – das kennen alle, die sich schon einmal aufgemacht haben. Das gelobte Land ist oft wie ein Traum.
Es liegt vielleicht gar nicht so weit weg, aber es müssen viele Umwege beschritten werden, bis das Ziel erreicht ist.
Und so ist das auch in der Geschichte des Volkes Israel: 40 Jahre ist es unterwegs durch die Wüste. Erst dann kommt es an die Grenze zum gelobten Land. Und wieder passiert ein Wasserwunder: Der Fluss Jordan bleibt still stehen, so dass das Volk problemlos hindurch ziehen kann.
Wasser steht an den Übergängen des Lebens. Wer sich auf den Weg in die Freiheit machen will, braucht seine stärkende und heilende Kraft.