Krankenhausseelsorge

Kleine Einblicke in die Arbeitswelt einer Krankenhausseelsorgerin

Die junge Frau teilt mir mit, dass sie morgen wieder heim darf. „War nur ein kleiner Eingriff.“ Ich freu mich mit ihr und wünsche ihr alles Gute.

Zwei Mal musste die ältere Dame erbrechen, in der Zeit, als ich bei ihr am Bett saß – ich reichte ihr die Schüssel, stützte sie vorsichtig, dann erzählte sie wieder weiter. Sie will schon noch ein Zeiterl leben, auch wenn es ihr die Krebserkrankung schwer macht, und sie singt so gerne, darum singt sie mir ein altes Kinderlied vor …

Zum wiederholten Mal bin ich bei Herrn X zu Besuch, er spricht nicht viel und es geht ihm nicht gut mit seiner Lungenerkrankung, aber er freut sich, wenn ich nach ihm schaue. Heute äußert er seine Sorge, ob er für den anschließenden Rehaaufenthalt noch warmes Gewand von zu Hause holen könne….nach meinem Besuch bei ihm, erkundige ich mich bei der zuständigen Schwester, wie die Verlegung gedacht ist und teile ihr die Befürchtung mit – man werde dafür sorgen, dass eine entfernte Angehörige warmes Gewand bringt (er hat sonst niemanden mehr).

Die Tochter von Frau Z. hat per Mail Kontakt zu mir aufgenommen, sie lebt in Wien und heute hat ihre Mutter den 81. Geburtstag. Diese ist Patientin im Klinikum und kommt eigentlich aus dem Burgenland, und das einzige, was sie derzeit noch gerne isst, wäre ein Becher Sauerrahm, ob ich einen für sie besorgen könnte. Evangelisch sein in Österreich, heißt oft auch zu einer kleinen „Großfamilie“ zu gehören.

„Als ich heute Nacht eingeliefert wurde ins Krankenhaus, dachte ich schon an Sie ,Frau Müller, und dass Sie mich sicher finden werden“ – hin und wieder ist man ein Lichtblick als Seelsorgerin.

Herr K. liegt im Sterben, so lautet die Auskunft der Schwester – er atmet schwer und hat die Augen geschlossen – ich trete an sein Bett, berühre ihn an der Schulter, während ich mit ihm rede. Gut, dass wir uns schon zu einem Zeitpunkt kennengelernt haben, wo ein Gespräch möglich war. „So nimm denn meine Hände“, singe ich ihm vor und spreche ihm mit Handauflegung einen Segen zu – seine Atmung ist ganz ruhig.

Frau K. musste von Klein auf immer die Starke sein, das ging eigentlich über ihr Vermögen – nun nach der schweren Operation hat sie Orientierungsschwierigkeiten, im Erzählen ihrer Lebensgeschichte findet sie langsam wieder zurück in ihre Realität – aber es dauert Tage – „es ist gut für mich, wenn Sie bei mir sind“ sagt sie einmal zu mir und drückt meine Hand …
.
„Erzählen Sie mir von unserer Gemeinde, was ist gerade los? Ich kann wegen meiner Erkrankung nicht mehr in den Gottesdienst gehen und auch nicht mehr zu den Nachmittagen für die Senioren, dabei war das immer so schön“ …
Als Krankenhausseelsorgerin bin ich auch Verbindungsperson zur Gemeinde …

Frau P. ist total fertig – heuer reißt es gar nicht ab – monatelang war sie schon im Krankenhaus gelegen – so macht das Leben keinen Sinn mehr für sie, ihr Leben war immer schon hart – einige Kinder sind ihr gestorben und der Mann war auch nicht gerade liebevoll zu ihr….Wo bitte ist da Gott gewesen? Anhören der leidvollen Menschengeschichte, Aushalten der dunklen Seite Gottes ohne vorschnelle Antworten als Trost zu geben … manchmal ist es sehr schwer …

Ich werde auf die Intensivstation gerufen. Herr A. hat eine lebensgefährliche OP vor sich und muss jetzt darauf warten, seine Familie ist weit weg. Er erzählt von seiner Angst, wir beten gemeinsam – ich bleibe noch bei ihm, er war Zimmermann – „Oh, der selbe Beruf wie Jesus ihn hatte!“ – „Ja, genau“ sagt er darauf und lächelt. Schließlich erzählt er mir noch von seiner Familie, seinem Hund und dass er Jäger ist – ich bemerke wie er im Erzählen gedanklich auf die Pirsch geht – ich steure noch ein Volkslied bei – so vergeht die Zeit des Wartens – „Also dass diese Stunden noch so schön sein könnten hätte ich mir niemals träumen lassen, ich gehe jetzt viel ruhiger in die Operation und ich möchte schon noch gerne weiter leben. Am nächsten Tag rufe ich auf der Intensivstation an, und ich freu mich sehr die schwache Stimme von Herrn A zu hören, der mir am Telefon selber sagt, dass er noch lebt …

Frau K. hat in der vergangenen Nacht eine kleine Tochter geboren, wir staunen beide über dieses Wunder, das sie gerade in ihren Armen hält – bevor ich wieder gehe zeichne ich ein Kreuzzeichen auf das kleine Köpfchen mit meinem Finger und bitte um Gottes Segen, der jungen Mutter kullern Tränen über ihre Wangen. Danke, sagt sie …

Der junge Bursche sagt: „Ich bin allen völlig egal – mir ist auch alles egal“….Mir ist das nicht egal, dass es dir so schlecht geht, und ich glaube an einen Gott, dessen Kind du auch bist und dem ist das auch nicht egal. Menschen ob jung oder alt, zu sagen und spüren lassen, dass sie eine unantastbare Würde haben und dass sie für Gott wertvoll sind, das ist oft meine Aufgabe, so viele wissen es gar nicht oder haben es vergessen …

Wie soll es mit mir weitergehen? Diese Frage steht im Raum, die Patientin tastet sich im Aussprechen ihrer Gedanken an die ungewisse Zukunft heran und gemeinsam schauen wir, was bisher Kraftquelle und Stärkung war …

„Vor diesem nächsten Besuch habe ich einen ordentlichen Bammel“, sage ich im Gehen aus dem gemeinsamen Büro zu Sr. Agnes. „Du bist nicht allein – ich schick dir den Hl. Geist voran und hintennach!“ – Geschwisterliche Stütze ist unentbehrlich in dieser Arbeit …

Beim Ökumenischen Abendgebet machen dieses Mal meine Kollegin Claudia und ich die Musik – Ökumene klingt in diesem Haus nicht nur schön, sondern lädt zum Miteinstimmen ein …

Ein Patient und zwei treue ehrenamtliche Mitarbeiterinnen sind diesen Donnerstag bei der evangelischen Andacht im interreligiösen Andachtsraum da. Ja, wir sind nicht viele, aber ein Ort und das Miteinander- Feiern wird zur Rückenstärkung von „Höchster Stelle“ …

„Großer Gott wir loben dich“ – so klingen unsere zwei Stimmen aus dem Stations-Bad im 3. Stock – aber kräftig und auswendig – versteht sich – es ist das Lieblingslied der Patientin. Sie hat schon alle Abführmittel in sich und möchte die Zimmertoilette nicht die ganze Zeit besetzen – sie bat um meinen Besuch, weil sie morgen eine große Operation hat, und das mit 88 Jahren …

„Mein Mann und ich werden uns verbrennen lassen“, so leitet die schwerkranke Patientin unser Gespräch ein, kurze Zeit später sagt sie – „Man darf sich nicht aufgeben“. Ich versuche sie in ihrer Ambivalenz zu begleiten. Die Hoffnung ist eine zarte aber hartnäckige Pflanze, ich mag Unkraut, es blüht oft so schön an den unmöglichsten Stellen …