Liebe Gemeinde,

erst einmal tief durchatmen. Das hilft ja in vielen Situationen, nicht nur am Beginn einer Predigt.
Durchatmen entschleunigt.
Es kann uns ruhig werden lassen.
Es kann uns helfen zwischen zwei Aufgaben, in Berührung mit uns selbst zu kommen.
Einen Augenblick ganz bei uns selbst zu sein.
Einen Augenblick auf das zu hören, was in uns vorgeht.

DENN:
Unser Atem sagt uns sehr deutlich, wie es um uns steht.
Wie ist es denn heute am Sonntag Morgen?
Kann ich frei und ruhig atmen? Durchatmen?
Habe ich einen langen Atem?
Oder bin ich außer Atem? Kurzatmig? Raubt mir etwas die Luft?
Und was lässt mich denn so richtig aufatmen?
Unser Atem sagt es wie es uns geht.
Für das östliche Denken ist er die er ist die Schnittstelle zwischen unserem Körper, unserem Geist und unserer Seele.

Und er ist noch mehr. Für die Bibel ist unser Atem nämlich noch etwas ganz anderes.
Und das bringt vor allem die Sprache des Alten Testaments auf unübertroffene Weise zum Ausdruck.
Für die Bibel ist unser Atem Gottes Geist, Gottes Lebenskraft, die uns durchweht.
DENN die hebräische Sprache verwendet für unseren Atem und Gottes Geist dasselbe Wort: RUACH.
In uns fließt also Gottes Ruach. Sein Atem. Seine Lebenskraft. Sein Geist.

Auf sehr anschauliche Weise beschreibt das die Bibel, wenn sie erzählt, wie Gott den Menschen erschuf.
Da formt Gott den Menschen aus Erde. Und dann bläst er durch die Nase des Menschen seinen Atem, seinen Geist in ihn hinein. Da wurde der Mensch atmendes Leben.

Das ist eine sehr zärtliche und eine sehr tiefsinnige Erzählung. Denn in einem einfachen, aber unglaublich intensiven Bild wird da aussagt, wer wir Menschen sind.
Wir sind Erdlinge. Fleisch. Materie.
Und zugleich sind wir mehr.
Denn Gottes Geist- Atem wohnt in uns. Durchdringt die Erde.
Jeder Atemzug ist sozusagen ein Atmen des göttlichen Lebens ins uns.

Während ich hier vorne stehe und rede, geht durch uns dieser Atem, dieser Geist hindurch.
Immer wieder. Immer durchweht uns Gottes Atem.
Ob wir wachen oder schlafen.
Ob wir darauf achten oder nicht.
Immer in einem bestimmten Rhythmus. Ein und Aus. Aufnehmen und Loslassen.
Solange wir leben.
Ob es der erste schreiende Atemzug des neugeborenen Kindes ist.
Oder der letzte schnappende Atemzug eines Sterbenden. Unser Atem ist da. Gottes Geist, Gottes Lebenskraft ist da. In unserem Körper. In unseren Lungen. Einfach da.

„Gott atmet in dir mehr als du selbst.“ So hat es der Dichter und Pfarrer Kurt Marti einmal gesagt. „Gott amtet in dir mehr als du selbst.“

Und so kann unser Atem, unser Atmen, ein Gebet sein.
Das ist vielleicht für uns evangelische Christen und Christinnen, die wir oft auf das Wort konzentriert sind, ein fremder Gedanke. Atmen ist Beten.
Aufmerksam auf den eigenen Atem zu achten heißt mit Gott, mit seiner Kraft, in Berührung zu kommen.
Einmal alles lassen und Gott in mir atmen lassen.
Da braucht es dann vielleicht keine Worte mehr.
Gott atmet in mir. Vielleicht gerade dann, wenn mir die Worte fehlen.
Paulus schreibt darüber im Römerbrief: Desgleichen hilft auch der Geist, der Atem, unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´s gebührt, sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“
Beten heißt dann also: Gottes Geist in uns atmen, manchmal auch in uns seufzen lassen.
Einatmen und Ausatmen.
So beten wir zu Gott und so betet Gott in uns.
Ein ganzes Leben lang. Vom ersten bis zum letzten Atemzug.

Mit Gott zu leben heißt dann: Ganz bewusst aus dieser göttlichen Lebenskraft in uns zu leben. Unser Leben von ihr gestalten zu lassen.
Wie ein Leben aussieht, das ganz, vollkommen vom Atem Gottes erfüllt ist, hat uns Jesus gezeigt. Was für jeden und jede von uns gilt, gilt für ihn noch einmal stärker, unübertrefflich.
In jedem Augenblick seines Lebens, in jedem seiner Atemzüge ist Gott gegenwärtig, spürbar für alle.
Gottes Geist atmet sozusagen durch ihn hindurch.

„Der Geist, der Atem, Gottes ist auf mir.“
Das sind im Lukasevangelium die ersten Worte Jesu bei seinem ersten öffentlichen Auftritt.
Und der Abschnitt aus dem Jesajabuch, den Jesus in der Synagoge vorliest, macht deutlich, was dieser göttliche Atem bewegt. Wo die Lebenskraft Gottes so sehr in einem Menschen pulsiert, wie das bei Jesus der Fall war, dann verändert das die Welt.
Dieser Geist-Atem treibt an, anderen zu mehr Leben, zu mehr Lebendigkeit zu verhelfen. Etwas weiterzugeben von dem göttlichen Leben, das in uns atmet.
Da wird den Armen ein gutes Wort gesagt, zerbrochene Herzen werden geheilt, Menschen werden frei, befreit von ihren Lasten, Blinde werden sehend, offen für alle Farben des Lebens.
Dann atmet Gott in uns mehr als wir selbst.

Liebe Gemeinde,

wie viel unser Atem, wie viel Gottes Geist bewegen kann, wird für mich in diesem Gottesdienst auf eine besondere Weise spürbar. Wenn so viele Musiker und Musikerinnen mit ihrem Atem Töne hervorbringen, dann liegt darin eine unglaubliche Fülle und Kraft. Dann wird Gottes Atem, der in uns allen fließt, hörbar. Dann steigt Gottes Lob in den Himmel. Dann ist dieser Atem Gebet. Ein Gebet ohne Worte. Ein Gebet einer Gemeinschaft. Weil ja in uns allen der gleiche Atem, der gleiche Geist fließt. Das ist es ja, was uns letztlich in der Tiefe verbindet. Wenn ich den Musikerinnen und Musikern zuhöre, dann spüre ich: Gott atmet in uns mehr als wir selbst.

Und so wünsche ich dem Grenzland Posaunenchor noch über viele Jahre hinweg einen langen Atem!

Und jetzt erst einmal wieder tief durchatmen. AMEN