Radiogottesdienst aus der Evangelischen Christuskirche, Wels

Pfarrer Roland Werneck

Der Predigtabschnitt für den heutigen Gottesdienst steht im Evangelium nach Johannes, im 1. Kapitel:

1Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
2Dasselbe war im Anfang bei Gott.
3Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
4In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
5Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.
6Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes.
7Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten.
8Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht.
9Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.
10Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht.
11Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.
12Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben,
13die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.
14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Liebe Gemeinde!

Weihnachten ist das Fest der Bräuche und Symbole. Ob auf den Straßen oder in den Kirchen, in den Schulen oder in den Kaufhäusern: Lichter, Kränze und geschmückte Bäume erinnern seit Wochen daran, dass diese Tage es in sich haben.
Auch der Evangelist Johannes liebt Symbole. Er verweist uns zu Weihnachten zunächst an den Anfang:
In einer philosophischen Sprache erzählt er die Weihnachtsgeschichte auf seine Weise. Für Johannes ist die Geburt Jesu eine neue Schöpfungsgeschichte. Er schreibt:
„Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott.“
Johannes ist davon überzeugt: Weihnachten hat etwas mit dem Anfang zu tun. Mit dem Anfang der Geschichte vom Licht und der Finsternis, von Gott und den Menschen.
Und Johannes erinnert uns zu Weihnachten an ganz grundsätzliche Fragen:
Wie ist der Mensch von Gott gemeint? Was macht den Mensch zum wahren Menschen?

Ganz am Anfang in der Bibel steht ja, dass der Mensch viele Ähnlichkeiten mit Gott hat: Er ist mächtig, er ist kreativ, er herrscht über die Welt der Tiere und Pflanzen.
Für Johannes gehört zum Menschsein noch etwas unbedingt dazu: das Wort, die Sprache, die Vernunft.
Das kennen wir, damit haben wir unser ganzes Leben lang zu tun, Tag für Tag. Menschen reden viel miteinander. Das gesprochene Wort ist unser wichtigstes Werkzeug. Über die Sprache kommen wir einander näher, in welcher Form auch immer. Die modernen technischen Kommunikationsmittel können dabei hilfreich sein: Radio, Telefon, Handy, SMS, facebook und wie sie alle heißen.
Wir reden miteinander, manchmal liebevoll , manchmal verärgert, wir teilen einander unsere Gedanken und Ideen mit. Durch Worte entsteht etwas Neues, Kreatives, eine neue Schöpfung.
Ja, der Mensch hat viele Ähnlichkeiten mit Gott: Jeder Tag in der Geschichte der Menschheit ist ein Schöpfungstag. Welche unglaublichen Erfindungen hat sich der Mensch einfallen lassen! Wie dankbar können wir sein z.B. für die Fortschritte in der Medizin! Dass es für so viele Krankheiten heute Behandlungen gibt, die vor 100 Jahren unheilbar waren!
Das Wort, die Sprache, die Vernunft: Welch ein Segen für uns Menschen!
Aber dann ruft uns der Evangelist Johannes zu Weihnachten auch zu: Das ist noch nicht alles! Das ist noch nicht die ganze Schöpfung Gottes! Das Wort, die Sprache, auch die Vernunft machen noch nicht den wahren Menschen aus! Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat´s nicht ergriffen!
Wir Menschen sind auf das Licht angewiesen, in vielerlei Hinsicht. In diesen weihnachtlichen Tagen ist das für viele ganz besonders zu spüren.

Weihnachten: Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat´s nicht ergriffen!
Eine wichtige Seite der Schöpfung fehlt also noch, damit der Mensch als wahrer Mensch leben kann, so wie er von Gott gemeint ist.
Ohne das wärmende und erhellende Licht der Gnade und Barmherzigkeit kann die Vernunft auch in den Abgrund führen.
Der Fortschrittsglaube der Moderne, dass die Entwicklung der Technik die Welt automatisch auch besser, menschlicher machen würde, ist spätestens im vergangenen 20. Jahrhundert zerbrochen. Im kommenden Jahr 2014 denken wir an den Ausbruch des 1. Weltkriegs vor 100 Jahren zurück.
Dieses Datum erinnert uns in Europa daran, wohin ein übersteigerter Nationalismus führen kann. Die Stimmen der Vernunft wurden nicht mehr gehört. Seit 100 Jahren wissen wir auch: Die modernste Technik kann zum Wohl der Menschheit eingesetzt werden, aber auch zur gegenseitigen Bekämpfung, ja in letzter Konsequenz sogar zur brutalen Vernichtung.

Wo ist die Grenze zwischen Segen und Fluch?
Wo finden wir uns im Licht wieder, wo in der Finsternis?
Mitten in diese manchmal quälenden Fragen ruft uns der Evangelist Johannes seine Weihnachtsbotschaft zu: Dieser Jesus, dieses fleischgewordene Wort, ist das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.
Weihnachten heißt: Gott kommt zu uns als Licht. Wir sind nicht mehr allein in der Finsternis. Wir sind nicht mehr allein, wenn wir Angst vor dem nächsten Tag haben. Wir sind nicht mehr allein, wenn wir uns zu schwach fühlen, um in dieser oft so unbarmherzigen Gesellschaft bestehen zu können. Wir sind nicht mehr allein, wenn wir daran glauben, dass Gottes Liebe allen gilt, den Inländern und den Ausländern, denn das Licht des Lebens scheint für Menschen aller Nationen.
Weihnachten ist ein Fest der Barmherzigkeit und Gnade. Der Mensch wird befreit von einer ungeheuren Last. Er muss sich nicht selbst erlösen! Er muss nicht selbst das Licht sein, das in die ganze Welt scheint. Die Ideologien der Selbsterlösung des Menschen haben schon genug Unheil in die Welt gebracht.
Der Evangelist Johannes ruft uns zu: Zu Weihnachten kommt das Licht zu den Menschen! Es gibt keinen Bereich unseres Lebens, wo es dunkel bleiben muss! Im Schein des weihnachtlichen Lichts können Dinge geschehen, mit denen wir längst nicht mehr gerechnet haben:
Jahrzehntelang zerstrittene Geschwister reichen einander die Hände zur Versöhnung.
Ein Mörder, der im Gefängnis sitzt, beschließt, ein neues Leben zu beginnen.
Das Licht scheint in der Finsternis! Barmherzigkeit und Gnade sind seine Begleiter! Zu Weihnachten werden sie uns geschenkt und wenn wir diese Geschenke annehmen, dann werden wir auch spüren: Ja, so ist der Mensch von Gott gemeint!

Die Geschichte von der Geburt Jesu ist eine neue Schöpfungsgeschichte:
Das Wort ward Fleisch. Gott kommt zu uns als Mensch. Das Licht scheint in der Finsternis.
Was für eine wunderbare Botschaft für uns in einer Zeit, in der Kindern und Jugendlichen von so manchen Erwachsenen beigebracht wird: Das Wichtigste ist, dass Du besser, schneller und stärker bist als die anderen. Du musst lernen, Dich durchzusetzen!
Wo gibt es Orte in unserer Ellbogengesellschaft, an denen unsere Kinder und Jugendlichen lernen können, dass zum wahren Menschsein auch noch etwas anderes gehört?
Rücksicht auf die Schwachen, die Langsamen, auf die, die aus Familien kommen, bei denen das Geld knapp ist? Wo kann die Wärme des weihnachtlichen Lichtes spürbar werden?
Viel wird in diesen Wochen über Bildung und unser Schulsystem diskutiert.
PISA-Tests werden evaluiert. Es wird überprüft, ob die Kinder und Jugendlichen altersgemäß lesen und rechnen können. Kompetenzen für die neue Zentralmatura werden trainiert.
Gleichzeitig hören wir laufend Klagen aus den Schulen über zunehmendes Mobbing, gezielte Ausgrenzung von einzelnen Kindern. Was es in der Arbeitswelt der Erwachsenen gibt, lernen Kinder und Jugendliche sehr schnell.
Wie wäre es einmal mit einem PISA-Test im Fach Solidarität? Oder mit der erwünschten Kompetenz der Nächstenliebe in Kindergärten und Schulen?
Wenn wir Erwachsene es verabsäumen, unsere Kinder das Licht von Weihnachten spüren zu lassen, die Barmherzigkeit und Gnade, die uns von Gott geschenkt wird, brauchen wir uns nicht wundern, wenn hier eine „Generation EGO“ heranwächst, wie ein jüngst erschienenes Buch über die Werte der Jugend im 21. Jahrhundert heißt.
Aber zum Glück gibt es diese Orte, wo sich der Mensch nicht über Leistung definieren muss. In diakonischen und caritativen Projekten engagieren sich viele, viele Ehrenamtliche, Jugendliche und Erwachsene. Sie sind Zeugen dafür, dass Gott sich uns zuwendet, und sein Licht leuchtet durch diese Zeugen für andere. Bei uns in der Pfarrgemeinde werden einmal in der Woche lernschwache Kinder von Erwachsenen bei ihren Schulaufgaben unterstützt.
Nicht nur der hoffentlich bessere Lernerfolg der Kinder macht dieses Projekt für mich so wichtig, sondern noch mehr die Erfahrung, die diese Kinder machen:
Hier ist jemand für mich da, er wendet sich mir liebevoll zu, ohne von mir etwas zu verlangen.
Oder unser Jugendchor together one, den wir auch in diesem Gottesdienst gehört haben:
Jugendliche nehmen sich vor Weihnachten Zeit, um ältere und einsame Menschen zu besuchen und singen ihnen Weihnachtslieder vor.
Zwei kleine Beispiele, wie eine Kultur der Barmherzigkeit und Gnade aussehen könnte, die wir so dringend brauchen.
Zu Weihnachten kommt Gott als Mensch zu uns.
Der Berliner Theologe Helmut Gollwitzer, der vor 20 Jahren verstorben ist, hat das die Solidarität Gottes mit uns Menschen genannt.
Zu Weihnachten dürfen wir erfahren, dass wir Kinder Gottes sind.
Als solche bekommen wir die wunderbarsten Geschenke:
Solidarität und Nächstenliebe, Gnade und Barmherzigkeit.
Wir werden reichlich beschenkt mit der Wärme des Lichtes, das in der Finsternis scheint. Weihnachten ist die große Einladung an uns: Teilen wir diese wunderbaren Gaben, die den Menschen mit Gottes Hilfe zum wahren Menschen machen! Lassen wir das Licht leuchten in die Welt!

Amen