Kirche und Revolution – das passt nicht zusammen, meinen viele. Ein Beispiel für eine Revolution, in der die Kirche eine führende Rolle gespielt hat, ist die sogenannte „Wende“ in der DDR. Anlässlich der Wahl des ehemaligen Pfarrers Joachim Gauck zum deutschen Bundespräsidenten wurde daran in letzter Zeit wieder öfter erinnert.
Vor kurzem begegnete ich in Linz Christian Führer. Er war in den 80er Jahren Pfarrer der Nikolaikirche in Leipzig. „Nikolaikirche – offen für alle!“ Dieses Schild war das Programm der Revolution. Diese Einladung bewirkte etwas, womit niemand gerechnet hat: In der Kirche trafen sich die unterschiedlichsten Gruppen zum montäglichen Friedensgebet. Das, was es offiziell in der DDR gar nicht geben durfte und bei uns „Zivilgesellschaft“ heißt: Umweltgruppen, Menschenrechtsaktivisten, kritische Künstler und Denkerinnen.
Kirche als offener Ort der Begegnung und des Dialogs. Im Herbst 1989 wuchs daraus eine revolutionäre Kraft, die die Welt veränderte. Was in der Kirche begann, wurde von den tausenden Demonstranten auf die Straßen Leipzigs hinausgetragen. Die Parolen lauteten: „Keine Gewalt!“ und „Wir sind das Volk!“
Ein führender DDR-Politiker sagte später: „Mit allem haben wir gerechnet, aber nicht mit Kerzen und Gebeten!“
Christian Führer ist keiner, der nostalgisch an der Vergangenheit klebt. Er mischt sich auch nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ein, wenn er es für notwendig hält. In den 90er Jahren gründet er eine „kirchliche Erwerbsloseninitiative“, um gegen die ansteigende Arbeitslosigkeit anzukämpfen. Nach der Jahrtausendwende organisiert er Protestdemonstrationen gegen Neonaziaufmärsche in Leipzig. Das Motto „Bunte Vielfalt gegen braune Einfalt“ wird mit Kindertröten und Konfettiregen umgesetzt.
Gegen den drohenden Irakkrieg gehen nach den Friedensgebeten in der Nikolaikirche wieder Zehntausende auf die Straßen.
Im Oktober 2005 erhält Christian Führer gemeinsam mit Michail Gorbatschow den Augsburger Friedenspreis. Eine von Gorbatschows Parolen war ja das „neue Denken“. Das hat schließlich zum Ende des sowjetischen Machtimperiums geführt. Die Preisverleihung gemeinsam mit dem ehemaligen Generalsekretär einer kommunistischen Partei bringt Christian Führer dazu, über eine „Ökumene mit den Atheisten“ nachzudenken. Er meint damit, dass die Kirche gemeinsam mit anderen Religionen und eben auch mit Atheisten die Aufgabe hat, Verantwortung für die Welt zu übernehmen. Die Begründung dazu findet er im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung, wo es heißt: „Siehe, ich mache alles neu!“
Die Bibel stiftet zu Revolutionen an. Nicht immer sind sie so spektakulär wie damals in der DDR. Aber ein „neues Denken“ kann die zwischenmenschlichen Beziehungen im Alltag radikal verändern.
Ich wünsche mir ein „neues Denken“ und eine „Ökumene mit Atheisten“, wenn es um die grundlegenden Menschenrechte geht. Letzten Mittwoch, am 21. März, war der von der UNO ausgerufene Internationale Tag gegen Rassismus. Weltweit wird in diesen Wochen zu Aktivitäten aufgerufen. Es geht darum, sich mit den Ursachen, Dimensionen und Erscheinungsformen des Rassismus zu beschäftigen und Zeichen der Solidarität mit den Opfern rassistischer Diskriminierung zu setzen.
In meiner Stadt Wels beginnt in der kommenden Woche der so genannte Monat für Respekt und Toleranz. Organisiert werden Begegnungen mit Menschen, die hier leben und sehr verschieden sind – religiös, kulturell, sprachlich. Wie in vielen österreichischen Städten sind auch in Wels oft Berührungsängste zu spüren. Vorurteile wachsen schnell, wo nicht miteinander geredet wird.
Es ist ein wichtiges Signal, dass in diesem Monat Kirchen, Religionsgemeinschaften und zivilgesellschaftliche Initiativen gemeinsam auftreten und von den Repräsentanten der Stadt unterstützt werden. Mutige Menschen, die sich aktiv für Dialog und Begegnung und gegen jede Form von Ausgrenzung einsetzen, werden immer gebraucht, egal, woher sie kommen.
Auch ein Friedensgebet wird es geben, mit Lesungen aus Bibel und Koran.
Vielleicht wächst ja daraus ein neues Denken und eine kleine Revolution.